AK / KODA
AK Regional-Koda NO Zentral-KODA
Beteiligung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an der Gestaltung ihrer Arbeitsbedingungen
In Deutschland hat die Kirche das verfassungsmäßig gewährleistete Recht, ein eigenes kollektives Arbeitsrechtsregelungsverfahren zu schaffen, um ihre Mitarbeitenden an der Gestaltung ihrer Arbeitsverhältnisse zu beteiligen. Die katholische Kirche hat sich dafür entschieden, ihr Verfahren zur kollektiven Arbeitsrechtssetzung am Leitbild der Dienstgemeinschaft auszurichten und nach den Grundsätzen einer partnerschaftlichen Lösung von Interessengegensätzen auszugestalten. Dieses Verfahren wird – in Abgrenzung zum sog. Ersten Weg (Regelung von Arbeitsbedingungen durch Individualvertrag) und dem sog. Zweiten Weg (Regelungen von Arbeitsbedingungen durch Tarifvertrag) – als sog. Dritter Weg bezeichnet. Das kirchenspezifische Arbeitsrechtsregelungsverfahren des Dritten Weges sichert und fördert die Beteiligung der Mitarbeitenden an der Gestaltung ihrer Arbeitsbedingungen und entspricht nach kirchlichem Selbstverständnis am ehesten dem Leitbild der Dienstgemeinschaft. Unter Rückgriff auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat das Bundesarbeitsgericht in seinem Grundsatzurteil vom 20.11.2012 anerkannt, dass der Schutzbereich des Selbstbestimmungsrechts auch das „Wie“ der Ausgestaltung erfasst, also die Entscheidung über die Art und Weise der kollektiven Arbeitsrechtssetzung.61 Danach kann eine Religionsgemeinschaft grundsätzlich darüber befinden, ob sie die Arbeitsbedingungen durch den Abschluss von Tarifverträgen regelt oder in Arbeitsrechtlichen Kommissionen bzw. Schiedskommissionen vereinbart.62
Zu den zentralen Bestandteilen, die das Kommissionsmodell des Dritten Weges kennzeichnen, zählen
- Gewährleistung der formellen (numerischen) Parität, also der gleichen Mitgliederzahl von Vertretern der Dienstgeber und Mitarbeitenden,
- Wahrung der materiellen Parität, also des tatsächlichen Verhandlungsgleichgewichts durch rechtliche Absicherung der persönlichen Rechtsstellung der Kommissionsmitglieder und durch Bereitstellung erforderlicher materieller Ressourcen,
- Konsensprinzip bei der Beschlussfassung, wonach Beschlüsse in den Arbeitsrechtlichen Kommissionen einer besonderen qualifizierten Mehrheit bedürfen,
- Legitimation der Mitarbeitervertreter in den Kommissionen durch unmittelbare oder mittelbare Wahl,
- verbindliches Vermittlungsverfahren als Funktionsäquivalent für Streik und Aussperrung,
- verbindliche Geltung der in den Kommissionen beschlossenen und in Kraft gesetzten Regelungen,
- keine einseitige Aufhebung der kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen, etwa durch Kündigung.
Der Entscheidung der Kirche für den Dritten Weg liegt zum ersten die Annahme zugrunde, dass das Tarifvertragssystem nicht das einzige Modell ist, um der sozialethischen Grundforderung der Kirche nach Gerechtigkeit in der Lohngestaltung zum Durchbruch zu verhelfen. Zum zweiten widersprechen die Funktionsvoraussetzungen des Tarifvertragssystems (Arbeitskampf, Streik und Aussperrung) den Grunderfordernissen des kirchlichen Dienstes: Interessengegensätze zwischen Dienstgebern und Mitarbeitenden bei der Festlegung kirchlicher Arbeitsvertragsbedingungen sollen durch Verhandlung und wechselseitiges Nachgeben, ggf. mit Hilfe eines neutralen Dritten, überwunden werden. Die mit Arbeitskämpfen zwangsläufig verbundenen Arbeitsniederlegungen stehen der Erfüllung des Sendungsauftrags entgegen. Weder die Glaubensverkündigung noch der Dienst am Nächsten können suspendiert werden. Kirchliche Einrichtungen berufen sich in ihrem Auftrag auf Jesus, den Leitgedanken der Nächstenliebe und den christlichen Anspruch, Konflikte friedlich beizulegen. Deshalb gibt es im kirchlichen Arbeitsrecht keinen Arbeitskampf mit Streiks und Aussperrungen, die zu Lasten der Menschen gehen würden, für die kirchliche Einrichtungen im Auftrag stehen. Die Kirche gäbe daher ihren Sendungsauftrag preis, wenn sie ihren Dienst den Funktionsvoraussetzungen des Tarifvertragssystems unterordnen würde. Schließlich sind Arbeitskampfmaßnahmen im kirchlichen Dienst auch nicht erforderlich, um die strukturelle Unterlegenheit der einzelnen Arbeitnehmer beim Abschluss und bei der Gestaltung von Arbeitsverträgen durch ein kollektives Handeln auszugleichen. An der Erforderlichkeit fehlt es, „weil es ein anderes, milderes Mittel zur Erreichung des ausgesprochenen Ziels gibt: Dies ist das kirchliche Arbeitsrechtssetzungsverfahren, einschließlich seines Schlichtungsverfahrens, das auf der kirchlichen Autonomie beruht und – sofern es funktioniert – in gleicher Weise geeignet ist, die Ziele des Artikel 9 Absatz 3 GG zu erreichen.“63
Die Mitarbeitenden des kirchlichen Dienstes können sich in Ausübung der Koalitionsfreiheit zur Beeinflussung der Gestaltung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen in Vereinigungen (Koalitionen) zusammenschließen, diesen beitreten und sich in ihnen betätigen. Die Koalitionen sind berechtigt, im Rahmen der verfassungsrechtlichen Grenzen innerhalb der kirchlichen Einrichtung für den Beitritt zu diesen Koalitionen zu werben, über deren Aufgabe und Tätigkeit zu informieren sowie Koalitionsmitglieder zu betreuen. Die Mitwirkung von tariffähigen Arbeitnehmerkoalitionen (Gewerkschaften) in den Arbeitsrechtlichen Kommissionen des Dritten Weges ist gewährleistet. Gewerkschaften haben das Recht, auf Grund eigener Entscheidung ihr Sach- und Fachwissen in die Kommissionsarbeit zu Gunsten der Mitarbeitenden einzubringen. Die Koalitionsfreiheit entbindet die Vertreter der Koalition nicht von der Pflicht, das verfassungsmäßige Selbstbestimmungsrecht der Kirche zur Gestaltung der sozialen Ordnung ihres Dienstes zu achten und die Eigenart des kirchlichen Dienstes zu respektieren.
61 BAG, Urteil v. 20.11.2012, BAGE 143, 354, Rz. 96.
62 BAG, Urteil v. 20.11.2012, BAGE 143, 354, Rz. 96.
63 Joussen, Grundlagen, Entwicklungen und Perspektiven des kollektiven Arbeitsrechts der Kirchen